Hier ein treffender Kommentar aus der schweizer Wochenzeitschrift "Die Weltwoche"-:
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Kommentar –Die Weltwoche Nr. 6, 09. Februar 2006-
Intifada in Europa
Von Eugen Sorg
- Der Karikaturenstreit ist eine Heuchelei. Es geht nicht um Gefühle oder Respekt, sondern um den Krieg gegen den ungläubigen Westen. Die Empörung wurde gezielt hochgepeitscht.
„Diese Woche“, hielt ein muslimischer Autor der englischsprachigen Arab News vor einigen Tagen stolz fest, „wurden wir Zeuge der Macht der islamischen und arabischen Welt, ein westliches Land praktisch in die Knie zu zwingen“. Der Kommunikator spielte auf die Empörungswelle in der internationalen muslimischen Gemeinde an- scheinbar ausgelöst durch die Veröffentlichung von Prophetenkarikaturen. Und er hatte guten Grund zur Freude.
Frühere Versuche islamistsicher Disziplinierung außerhalb des eigenen Hoheitsbereichs waren erfolglos geblieben. Der ägyptische Schauspieler Omar Sharif beispielsweise zog den Zorn der Rechtgläubigen auf sich, als er im Film „Funny Girl“(1968) die jüdische Kollegin Barbra Streisand küsste. Der Film wurde zwar in Ägypten verboten, aber Sharif blieb weiterhin ein Liebling der Araber.
Die überraschende Machtergreifung des Ajatollah Chomeini im Iran (1979) und der afghanische Aufstand gegen die atheistische Sowjetarmee verliehen dem Islamismus mächtigen Schub, der bis heute unvermindert anhält. Als Chomeini 1989 gegen den angloindischen Schriftsteller Salman Rushdie und alle, die seinen Roman „Satanische Verse“ vertrieben, ein Todesurteil wegen Gotteslästerung erliess, bejubelten Muslime von den Philippinen bis Mauretanien das archaische Blutedikt. Rund anderthalb Jahrzehnte später wurde der Künstler Theo van Gogh in Amsterdam auf offener Strasse wegen „Beleidigung des Islam“ strafgeschlachtet. Der Mörder, Mohammed Bouyeri, war nicht ein Sendling des iranischen Gottesstaates wie in ähnlichen Fällen der neunziger Jahre.
Er war ein Kind maghrebinischer Einwanderer, aufgewachsen in Amsterdam. In einem „offenen Brief an das holländische Volk“ hatte er kurz vor der Tat geschrieben: "Überall, in den Strassenbahnen, in den Zügen auf den Märkten sind Sie zum Ziel des Angriffs geworden. Sie werden sich unter Gedärm und Eingeweiden, unter Stücken von Menschenfleisch wieder finden.“
Langmut der Dschihadversteher
Die eifernden Koranfetischisten hatten nicht nur in ihren Herkunftsländern an Einfluss gewonnen, sie waren auch im Herzen Europas angelangt. Geschützt durch eine sanftäugige Ideologie des Multikulturalismus und des einfühlsamen Dialogs konnten sie lange in allen europäischen Städten Netzwerke aufbauen und ihre Hasslehre in den Emigrantenkreisen predigen.
Rushdies Schicksal hatte eine faste einhellige Solidarisierung des westlichen Publikums hervorgerufen. Van Gogh genoss bereits weniger Anteilnahme. Der Filmer sei ein Provokateur gewesen, schrieben viele Kommentatoren, ein rüpelhafter Querulant. Keiner sagte es offen, aber es war klar, was gemeint war: Irgendwie war van Gogh selber schuld, dass man ihn getötet hatte. Die Terrorstrategie trug erste Früchte. Angst hatte sich in den pazifistischen Justemelieus eingeschlichen.
Unnötige Provokation, gefährliches Zündeln, verantwortungslos, unsensibel, islamophob- derart haben in vorauseilender Akzeptanz der schariatischen Zumutung dieselben Kreise auch die Prophetenkarikaturen verurteilt. Umso mehr therapeutischen Langmut zeigte man für die Reaktionen der anderen Seite. Muslimische Demonstranten fordern in London auf Transparenten das „ Abschlachten von Beleidigern des Islam“? Wünschen den Engländern einen zweiten 7/7? Den Dänen Osama Bin Laden? Fackeln im Nahen Osten Botschaften ab? Boykottieren dänische Waren? Alles bloß „Überreaktion“, Zeugnis vom „Gefühl ständiger Demütigung durch einen übermächtigen Westen“, beruhigen die Dschihadversteher, „spontaner“ Ausdruck von Verletzung durch Zyniker, die „keinen Respekt“ für Menschen haben, die ihre Religion noch „tatsächlich leben“.
Warum aber, stellt sich die Frage, brauchten die verunglimpften Muslime so lang, bis sie merkten, dass sie verunglimpft worden waren? Zwischen der Veröffentlichung der Karikaturen und den Protesten lagen immerhin fünf Monate. Die Antwort ist einfach aber ungemütlich. Der Aufruhr war weder „spontan“ noch eine „Überreaktion“. Er war gut vorbereitet und orchestriert.
Initiant war der dänische Imam Abu Laban, der letztes Jahr mit einer muslimischen Delegation Vertreter der arabischen Liga besucht hatte. Im Gepäck hatte der schlaue Imam die zwölf dänischen Karikaturen, plus einige weitere beleidigende, die den Propheten mit Schweinkopf oder als Pädophilen darstellten. Sie waren von keiner dänischen Zeitung je veröffentlich worden. Doch sie sollten seiner Klage, dass Muslime im Westen verfolgt würden, Nachdruck verleihen. Er sorgte dafür, dass die arabischen Medien davon erfuhren.
Abu Laban, der gute Verbindungen zu Islamistengruppen hat, traf sich auch mit Spitzen der nahöstlichen Terrornomenklatura, mit den Führern der Hamas, Hisbollah, Gamaa Islamija. Sie stellten den disziplinierten Pöbel, der im Januar die Botschaften brandschatzte. Die Entrüstung um den karikierten Propheten ist ein Vorwand. Es geht um den Krieg gegen den ungläubigen Westen. Die europäische Intifada ist eröffnet.
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