Scheinbar vs. anscheinend

Fußball ohne Tennis & alljemeinet Rumschäkern
Trainerfuchs
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Trainerfuchs »

mr. bungle hat geschrieben:Verdammt vermintes Thema jedenfalls, da sind Experten gefragt. Wo ist eigentlich Daniel Scheinhardt, wenn man ihn mal braucht?
ist er nicht an die Manfred-Pawlak-Universität berufen worden? Meine so was scheinbar gehört zu haben.
Eichkampprozessionsspinner! Jetzt wirds haarig!
Markus
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Markus »

Er hat den Ruf aber nicht angenommen, glaube ich. Die Aussicht auf lediglich 10 Angestellte und ein Forschungslabor im Schloss Bellevue schienen ihm nicht lukrativ genug. Auch kein Wunder, dass immer mehr renommierte Spitzenwissenschaftler die MPU verlassen. Auch der Präsident (Denis R.) hat sich da schon lange nicht mehr blicken lassen.
ping-pong-alex
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von ping-pong-alex »

Markus hat geschrieben:
Anglizismen - (hier müsste ein Gedankenstrich stehen) Our friends and helpers?
)
lässt sich anscheinend zusammen erörtern:

Auf einen Blick:

1. Denglisch besteht aus Wörtern bzw. Phrasen tatsächlich oder scheinbar englischer Herkunft.
2. Denglisch ist jedoch kein Englisch, ergo auch kein falsches Englisch.
3.Denglisch in der Werbung ist lediglich eine Randerscheinung und gehört nicht zur Sprache i.e.S..
4. Denglisch findet hauptsächlich im alltäglichen Sprachgebrauch statt.
5. Denglisch ist nicht 'undeutscher' als 'Danzösisch', 'Ditalienisch', 'Dateinisch' - und 'Deutschdeutsch'
6. Denglisch ist ein legitimer und integrierter Bestandteil der deutschen Sprache - bloß ein relativ neuer.
7. Denglisch ist nichts weiter als ein künstlich aufgebauschtes Scheinproblem

http://www.denglisch4ever.de/autoframes ... lisch.html
ich war TeBe-ich bin TeBe- ich werde TeBe sein

Der Internationalismus hört am Strafraum auf

El pueblo unido jamas será vencido

https://www.youtube.com/watch?v=Cuzl_QTBlWI
Markus
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Markus »

Im Übrigen ein verschwindend geringes, verglichen mit den lateinischen Einflüssen. Und auch damals, vor 300 Jahren, regten sich die Leute auf. Und vor 150 Jahren waren es Gallozismen. Fazit: Sprachpuristen sind Wutbürger und AfD-Wähler.

Und nächste Woche: Warum stirbt das Präterium aus? Das Perfekt geht perfekt in Stellung!
Norbert
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Norbert »

Interessante weil spitzfindige und haarspalterische Sommerpausenfülldiskussion! Ich persönlich bin ja übrigens ein Verfechter des Genitivs. Manche meinen sich ja gemäß des Spruches;-) "rettet dem Dativ" ebendieses Falles verpflichtet fühlen zu müssen.

Hingegen tendiere ich zu der Auffassung, daß eigentlich der Genitiv akut vom Aussterben bedroht ist.
Markus
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Markus »

Was aber auch nicht neu ist. Vor einem Monat gab es übrigens eine dreitägige Tagung hier an der FU über den germanischen Genitiv. Als ein bekannter Linguist hier aus Berlin in einem Zeitungsinterview diesbezüglich äußerte, dass Linguisten Menschen nicht zu vermeintlich* korrekter Sprache erziehen wollten, sondern eher Beobachter seien, wie Menschen Sprache behandeln, hatte er innerhalb weniger Stunden 800+ Beschimpfungsemails von Wutbürgern und Sprachpuristen im Postfach. Der Deutsche, der sich und seine Sprache ja stets von aller Welt bedroht sieht, findet das natürlich schlimm, wenn sich irgendwas an der Art und Weise, wie Menschen sprechen und schreiben, ändert. Linguisten gehen da anders ran, sie beobachten in der Regel einfach, was passiert und versuchen es zu analysieren und Voraussagen zu treffen. Ob der Genitiv verschwindet oder vermehrt Anglizismen auftreten ist ihm vollkommen egal und er hat damit auch Recht. Es geht letztlich nur darum, dass Menschen sich verständigen können.

Dabei gibt es zwei Instanzen:
Der Sprechende möchte mit möglichst wenig Aufwand Gedanken artikulieren.

Der Hörende möchte dabei mit möglichst wenig Aufwand das Gesagte verstehen.

Zwischen den beiden existiert noch die physische Instanz des Schalls (Phonetik), was aber erstmal egal ist.

*Tatsächlich gibt es keine wirkliche Instanz, die festlegt, was korrekt ist. Duden und Co. (und nochmal: der Duden ist alles andere als der Weisheit letzter Schluss) reagieren auch mit einer gewissen Trägheit. Die Standardwerke sind übrigens ebenfalls beschreibend. Nicht die Mehrheit der Menschen sollte sich nach dem richten, was im Duden steht, sondern der Duden danach, wie die Menschen Sprache benutzen. Und wenn 95% der Menschen das Wörtchen scheinbar vermeintlich falsch benutzen, dann kommt der Duden nicht umhin, da mal einen vernünftigen Hinweis anzubringen, dass nunmal das Wort heutzutage anders verwendet wird. Es ist auch vollkommen egal, ob mein Gegenüber scheinbar oder anscheinend sagt, solange ich verstehe, was ausgedrückt werden soll. Deswegen ist dieses Korrigieren von Sprache vollkommen nerviger Bullshit und darf auch gerne hier oder anderswo eingestellt werden. Sprache ist ein Prozess, der beständig im Wandel ist und das seit Jahrtausenden. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, daran etwas ändern zu wollen.
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von peeka »

jimmyconnors
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von jimmyconnors »

wo's wurscht ist, ist's mir wurscht. mir geht's auch nicht um richtig oder falsch, deswegen habe ich auch geschrieben, dass in 95 % der fälle anscheinend angebracht wäre. es gibt halt einen bedeutungsunterschied, den ich ganz nützlich finde; eher eine verteidigung des wörtchens scheinbar. manches, was - vermutlich - von sebastian sick und der gesellschaft für deutsche sprache als anglizismus gegeißelt wird, z.b. etwas erinnern oder sinn machen, ist möglicherweise eher eine bereicherung der sprache als sprachverfall.
die klage über den sprachverfall ist übrigens kein deutsches spezifikum (hier mischt sie sich nur gerne mit anderen unguten meinungen) und auch alles andere als neu. tolles buch zu dem thema: guy deutscher - the unfolding of language.
wurscht, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt, sind z.b.:
brauchen ohne zu zu gebrauchen und wegen mit dem dativ. lustig, aber wurscht: das ( :wink: ) deppen-apostroph, insbesondere, wenn man sich die geschichte der verwendung anschaut; auch, dass herr sick, wenn ich recht informiert bin, behauptet, ein (sauber umschifft, was?) apostroph dürfe nur als auslassungszeichen für einen einzelnen buchstaben stehn.
auch zu viel verwendet wahrscheinlich: der doppelpunkt.

eine frage an die profis hier (Felix?) - ich bin ja nur interessierter laie - ist das so richtig, oder muss das irgendwie anders?:
"Die Männer sind zwischen Ende 20 und Mitte 30 Jahre alt."
da ist mein sprachgefühl irgendwie drüber gestolpert.
ich glaube ich brauche dir nichts erklären was ultra heißt ich gehe schon zum fussball da warst du noch auf der seerose
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pusztapunk
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Avatar Beitrag von pusztapunk »

Am meisten kotzt mich ja an, dass meine gleichberechtigte Adminkeule diesen Thread eröffnet hat...
Alles was in und um TeBe passiert wird im Lila Kanal abgesprochen und alles kommt auch so, wie es dort steht. Rainer L., Auskenner
Markus
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Re: Scheinbar vs. anscheinend

Beitrag von Markus »

Die Genitivapostrophierung findet sich aber teils auch schon in sehr alten Verweisen, wenn man in entsprechenden Korpora sucht (Goethe's Werther).

Beim sog. Deppen-Apostroph kann man aber auch schon argumentieren, dass es sich um ein Phänomen der schriftlichen Kommunikation handelt, was grundlegend anders zu behandeln ist, als mündliche Äußerungen. Die Toleranzschwelle ist im Schriftverkehr wesentlich niedriger angesetzt, während im mündlichen Bereich viel mehr akzeptiert wird. Die scheinbar-anscheinend-Angelegenheit ist insofern spannend, weil es sich um ein ganz seltenes Phänomen handelt, bei dem beide Bereiche betroffen sind, das kommt nicht so oft vor. In der Regel ist die gesprochene Sprache die natürlichste und unmittelbarste Kommunikationsform und deswegen auch meistens Vorreiter, der schriftliche Bereich zieht dann nach. Aber auch da gibt es Ausnahmen, manche benutzen ja das Wort LOL mittlerweile auch beim Sprechen und flektieren es sogar (z.B. in Verbform). Hier war die schriftliche Form dann zuerst da.

brauchen ohne zu zu gebrauchen

Wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen, hieß es früher. Heute wandelt sich das Verb (nicht) brauchen und nimmt zunehmend Modalverbstatus an, was ein ansich nicht unspannender Prozess ist.

(1) a Das brauchst du nicht (zu) lesen. (Ohne zu als MV-Lesart.)

Ähnliches passiert im Übrigen auch mit bekommen und kriegen, mit denen man mittlerweile sogar Passivieren kann (statt des handelsüblichen werdens) und ebenfalls sogar Dativ-Objekte zu Nominativen dabei umformen kann, was sonst ausgeschlossen ist.

(2) a Der Polizist nimmt ihm den Führerschein weg.
b Ihm wird der Führerschein weggenommen.

(3) a Der Polizist nimmt ihm den Führerschein weg.
b Er bekommt/kriegt den Führerschein weggenommen.

Es ist also davon auszugehen, dass sich gerade ein paar Vollverben im Deutschen in die elitäre Riege der Modalverben einschleichen. Wiederrum andere sind allerdings in den letzten Jahrhunderten ausgestorben. Das Beispiel zeigt den dynamischen Prozess insgesamt recht deutlich.
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